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Wie Tablets das Zeitunglesen revolutionieren können

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen
Wie Tablets das Zeitunglesen revolutionieren können

Die Presseverlage erhoffen sich von Tablets wie dem iPad ihre Rettung. Doch Gedrucktes einfach digital zu verkaufen, wird nicht reichen: Jetzt braucht es Kreativität. Denn auf den neuen Geräten gibt es plötzlich starke Konkurrenz von Fernsehsendern, Web-Medien und ganz neuen Wettbewerbern.

Spiegel Online, 28.1.2010

Jennifer Brook hat bei der iPad-Präsentation einen schönen Satz gesagt, der im Getümmel um Steve Jobs’ neuen Streichel-Computer ein bisschen untergegangen ist. Die “New York Times”-Managerin präsentierte die iPad-Anwendung ihrer Zeitung mit den Worten: “Ich denke, wir haben die Essenz des Zeitunglesens erfasst.”

Das wird Brook wohl nicht ganz so gemeint haben. Aber bezeichnend ist die Aussage schon: Die Macher des wohl angesehensten US-Verlagshauses für journalistische Produkte arbeiten nicht daran, etwas Neues zu erfinden. Sie wollen vor allem ihre alten Produkte auf neue Vertriebswege übertragen.

Das könnte etwas zu kurz gedacht sein. Warum, war bei der iPad-Show ebenfalls zu sehen.

Da zeigte die US-Baseballliga MLB ihre iPad-Anwendung, die den beliebten Sport zu einem neuartigen Erlebnis machen soll. Man kann zwischen mehreren Video- und Audioübertragungen von Spielen wechseln. Man kann währenddessen Statistiken zu einzelnen Spielern aufrufen. Man kann die Spielhistorie des Hitters und Pitchers vergleichen, die gerade gegeneinander antreten. Und in einer Fülle von interessant aufbereiteten Daten wühlen, die für das aktuelle Spiel relevant sind. An der kurzen MLB-Präsentation sind zwei Dinge bemerkenswert, mit denen klassische Medienunternehmen sich wohl auseinander setzen müssen, wenn mobile Endgeräte Mainstream werden – egal, ob das iPad nun floppt oder nicht:

  • In der Baseball-Anwendung lassen sich Text- und Videoangebote nicht mehr klar unterscheiden. Beides geht ineinander über und verschmilzt zusammen mit interaktiven Grafiken zu einem neuartigen Informationsangebot.
  • Die – kostenpflichtige – Anwendung wird von keinem klassischen Medienunternehmen betrieben, sondern von der Baseballliga.

Ob sich nun Tablets wie das iPad durchsetzen oder Mobiltelefone mit weiterentwickelten Displays, ist letztlich egal – klar ist, dass in ein paar Jahren viele Menschen solche Geräte nutzen werden. Und um ihre Aufmerksamkeit und ihr Geld ringen dann nicht nur die Angebote der Zeitungs- und Magazinbranche. Sondern auch jene von Fernsehsendern, Onlineangeboten und völlig neuen Anbietern wie MLB.

Auf dem Vertriebskanal Überallgerät (um es mal nicht Tablet, iPad oder Smartphone zu nennen) wird also mit Sicherheit mehr Vielfalt, aber auch mehr Wettbewerb herrschen. Wer jetzt darauf hofft, mit Apps beim Konsumenten zu kassieren, für den ist es höchste Zeit, sich zu überlegen:

  • was man eigentlich verkaufen will,
  • wie diese Geräte genutzt und
  • wofür die Kunden Geld ausgeben werden.

Der Common Sense in der Medienbranche ist gerade: Man kann für digitale Inhalte künftig Geld verlangen, sobald es neue, bessere Endgeräte gibt – nachdem die Leser im Internet bisher kaum zum Zahlen bereit sind. Zeitungs- und Magazinverlage hoffen, dass Apple mit dem iPad diese Revolution gelingt. Das ist nicht ausgemacht, aber auch nicht völlig abwegig.

Wenn denn das Angebot stimmt.

Die “Essenz des Zeitunglesens” wird da wohl nicht reichen. Wenn die neue Technik so einschlägt, wie sich die Hersteller das vorstellen, sind iPads, künftige Google-Netbooks und Kindles wohl keine Lese-, sondern Guck-, Klick- und Sonstwas-Geräte mit Bewegtbildern und irgendwann auch langen Akkulaufzeiten. Und das bedeutet vor allem für journalistische Onlineangebote einen Umbruch.

Bisher werden sie werktags vor allem im Büro am Schreibtisch gelesen. Die Menschen suchen bei ihnen einen schnellen Überblick mit den wichtigsten Nachrichten und klarer Einordnung.

Anders bei Überallgeräten, die gut, leicht, billig, genügsam und kontrastreich genug sind, um auch im Zug, Bett oder Park, auf dem Sofa oder der Wiese und am Strand genutzt zu werden. Da können andere Darstellungsformen und Themen Zuspruch finden.

Die Essenz der Zeitung ist guter Journalismus – nicht Text

Wie die Nutzungsumgebung die Nachfrage verändert, merkt man heute schon bei Online-Videos. Sie werden im Vergleich zum übrigen Internetangebot besonders gern am Abend abgerufen. Eben nicht am Schreibtisch.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Menschen jetzt Fernsehen im Web sehen wollen. Wer digitale Inhalte nutzt, will zwar nicht ständig interagieren und irgendwas anklicken – aber er will die Möglichkeit dazu haben, wenn es ihm in den Sinn kommt. 15 Minuten Internet-Tagesschau zum Stillsitzen und Zugucken sind wohl nicht das ideale Medienangebot für iPad-Nutzer. Da sieht die iPad-Anwendung von MLB schon attraktiver aus, die Text und Video zu einer neuen interaktiven Darstellungsform verbindet.

Sollen nun alle Medienunternehmen diese Darstellungsform übernehmen? Sicher nicht. Das Beispiel zeigt vor allem, dass jetzt Kreativität gefragt ist.

Die Essenz der Zeitung ist guter Journalismus. Wie er auf Überallgeräten wie dem iPad funktionieren kann, ist eine drängende Frage – die mindestens genauso wichtig ist wie die Frage nach Vertriebserlösen.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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