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Strategiespiel: Diese "Civilization"-Partie läuft seit zehn Jahren (Spiegel Online, 18.6.2012)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Strategiespiel

Diese “Civilization”-Partie läuft seit zehn Jahren

Drei Supermächte, ein Krieg, seit 1700 Jahren: Ein Spieler treibt seit einer Dekade dieselbe Partie des Aufbau-Strategiespiels “Civilization II” voran. Er will endlich Frieden schaffen in seiner vom ewigen Kampf zerstörten Spielwelt. Mit Hilfe des Webs könnte das nun gelingen.

Spiegel Online, 18.6.2012

{jumi [*3]}

“Diese Welt ist ein höllischer Alptraum voller Leid und der Zerstörung.”

So beschreibt Lycerius das Leben im Jahr 3991, in seiner seit rund zehn Jahren laufenden Partie des Computer-Strategiespiels “Civilization II”. Der Spieler Lycerius – seinen wahren Namen will er nicht nennen – beschreibt seine Erfahrungen mit dem 1996 erschienen Spieleklassiker in einem langen Artikel in der Online-Community Reddit. Er oder sie (wobei -us im Lateinischen die männliche Endung ist) schreibt:

“Die Polkappen sind mehr als 20 mal geschmolzen, vermutlich vor allem infolge der vielen Nuklearkriege. Ein Folge dessen: Jedes Fleckchen Land, das nicht im Gebirge liegt, wurde zu Sumpf. Ohnehin ist viel Land verstrahlt.”

Wie konnte es so weit kommen?

Lycerius erzählt, dass er Ende 2001, als das Nachfolgespiel “Civilization III” erschien, so weit in dieser einen Partie fortgeschritten war, dass er sie nicht mehr aufgeben wollte: “Ich dachte mir, es könnte interessant sein zu sehen, wie weit ich es in die Zukunft schaffe und was die Auswirkungen sein würden.” Und so hat er in den vergangenen zehn Jahren immer wieder diese eine “Civilization”-Partie fortgesetzt.

Spielstand zum Runterladen

Im Jahr 2007 tauschte er den PC aus, spielte mit dem alten Speicherstand in einer neuen Installation weiter. Bis heute, bis ins Spieljahr 3991: “Natürlich spiele ich auch andere Titel und ich habe ein Leben, aber ich kehre oft zu dieser Partie zurück, wenn ich nichts anderes zu tun habe.”

Lycerius hat auf eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE nicht geantwortet. Es ist zumindest denkbar, dass diese Veröffentlichung Teil einer PR-Kampagne für ein neues “Cvilization”-Spiel sein könnte. Ein Beleg für Lycerius’ Darstellung: Er hat eine aktuelle Spielstandsdatei seiner “Civilization II”-Partie veröffentlicht. Wer will, kann in seiner Welt im Jahr 3991 weiterspielen, mit einem hier beschriebenen Patch (Spalte rechts, unter Ressources) läuft “Civilization II” problemlos auch unter Windows 7. Und der Betreiber dieses Kontos bei Reddit ist seit langem dort unterwegs, hat schon vor knapp einem Jahr kommentiert und einen Beitrag eingereicht.

1700 Jahre Krieg

Die Spielwelt ist in diesem Jahr 3991 in einem bedauernswerten Zustand: Im Jahr 2000 war die Spielbevölkerung auf ihrem höchsten Stand, dann starben etwa 90 Prozent der Menschheit, durch Atombomben, durch Hungersnöte. Die Kelten, eine von drei verbliebenen Supermächten (gespielt von Lycerus), haben mit gut 15,7 Millionen Einwohnern die größte Gesamtbevölkerung im Jahr 3991.

Seit 1700 Jahren herrscht Krieg zwischen den Kelten, den Wikingern und den Vereinigten Staaten von Amerika. Lycerus beschreibt das Problem so: “Frieden erscheint unmöglich. Sobald ein Waffenstillstand geschlossen wurde, greifen die Wikinger oder die Amerikaner mich überraschend an, schon beim nächsten Zug, oft mit Kernwaffen.”

Zwei fundamentalistische, ein autoritäres Regime

Die Folge dieses Konflikts: Ingenieure bauen ständig neue Straßen, damit militärische Einheiten schnell zur Front gelangen. Diese Straßen werden im nächsten Spielzug von gegnerischen Einheiten zerstört, die Ingenieure müssen wieder neue errichten. Es bleibt keine Zeit, versumpftes oder verstrahltes Land wieder nutzbar zu machen. So fehlen Anbauflächen, die Bevölkerung hungert, aber es sind gerade noch genügend Ressourcen vorhanden, um den Krieg weiterzuführen, die militärische Stärke der verbliebenen Supermächte ist so ausbalanciert, dass niemand militärisch gewinnen kann, aber jeder Einwohner verliert. Kein Wunder, dass zwei der verbliebenen Regime fundamentalistische sind.

Bei den Kelten herrscht Kommunismus, wobei dieser Begriff in “Civilization” letztlich nur ein autoritäres Regime bezeichnet, in dem der Anführer Genosse genannt wird. Das Ende der Demokratie begründet Lycerius so: “Ich musste vor etwa tausend Jahren die Demokratie abschaffen, weil sie mein Imperium gefährdete.” Regelmäßig lehnt sich im keltischen Reich eine Guerilla gegen das Regime auf, Lycerius schlägt sie militärisch nieder – “aber das zehrt an meinen Ressourcen für den Krieg.”

Frieden schaffen

Diese Partie von “Civilization II” ist zu einer Simulation alternativloser Politik geworden: Der Spieler weiß, dass er Frieden schließen muss, um seine Bevölkerung ernähren zu können. Allein: die Umstände! Wer nicht rüstet, wird erobert, es gibt keine Alternative.

Oder vielleicht doch?

Nach Veröffentlichung der Spielstandsdatei haben viele erfahrene “Civilization”-Fans Lycerius’ Partie weitergespielt. Viele haben nach den ersten Tagen hilfreiche Tipps und neue Spielstände bei Reddit veröffentlicht: Vielleicht könnte man mit mehr Eisenbahnstrecken und verstärktem Luftverkehr eine militärische Überlegenheit schaffen? Könnte Solarenergie helfen?

Lycerius schreibt vor paar Tagen: “Mein Ziel für die kommenden Jahre ist es, den Krieg zu beenden, die Sümpfe und verseuchten Gebiete fruchtbar zu machen und die Welt wieder aufzubauen.” Es scheint, dass er sein Ziel mit der Hilfe Hunderter Spieler aus der ganzen Welt eher erreichen kann als alleine.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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