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23 Beobachtungen in Taiwan

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen
23 Beobachtungen in Taiwan
(1) Hier wird Kaffee ernst genommen.

Ich habe eine Menge über Kaffee gelernt. Es gibt viele kleine Röstereien, wo man auch direkt trinken kann und Gedanken über den Geschmack hört. Zum Beispiel das von einem Röster: Beim Kaffeegeschmack müssen die Komponenten wie bei einem Fruchtsaft zusammenspielen: Säure, Frucht, Süße als die wichtigsten. Das kommt nur bei einer leichten Röstung heraus.
Hier habe ich zum ersten Mal Tropfbeutelfilter für unterwegs gesehen. Wie ein Teebeutel für Kaffee: Oben das Papier abreißen, den Beutel mit Pappohren in die Tasse hängen und unterwegs aufbrühen. Übersetzt heißen die Filter für unterwegs sinngemäß große Ohrenbeutel. Ein Kaffeetrinker erzählt, dass er sich vor jeder Reise in die USA von seiner Rösterei genügend Beutel seiner Lieblingssorte abfüllen und vakuumieren lässt, um sie mitzunehmen. Der Kaffee in den USA sei meist zu schlecht. Stark geröstet und mit viel Wasser zu lange heiß gehalten. „Black Water“, sagt er.

(2) Menschen vertrauen einander in alltäglichen Situationen

Im Park geht man irgendwohin und lässt seine Sachen auf der Bank liegen, im Café geht man sich die Hände waschen und lässt das Handy auf dem Tisch liegen, am Meer lässt man Rucksäcke im Schatten unter den Bäumen und geht am Strand spazieren.

(3) Viele Wasserspender an öffentlichen Orten (Kaufhaus, Bahnhof, öffentliche Einrichtungen) und Trinkbrunnen auf Plätzen.

Die Wasserspender haben kaltes, warmes und heißes Wasser (für Tee).
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(4) Die Bahn funktioniert.

Mittagessen im Zug: Kann für 80 TWD (unter 3 EUR) zum Ticket dazu gebucht werden, wird am Platz serviert und schmeckt. Und: Die Züge halten mit der immergleichen Reihung der Wagennummer am gleichen Bahnsteig. Es gibt Schilder mit den Wagennummern, man stellt sich hin und steht richtig vor seinem Waggon.

(5) In Imbissen stehen Körbe aus festem Plastik unter dem Tisch, in die man Rucksäcke und Taschen stellen kann. So kippen sie nicht um, nehmen wenig Platz weg und werden nicht schmutzig.
(6) Viel Innovation und Service rund um Regenschirme.

Wahrscheinlich, weil es in der Regenzeit viel, heftig und spontan regnet. An großen Bushaltestellen gibt es Schirmverleihstationen. In Museen und öffentlichen Gebäuden gibt es Regenschirmhüllenspender im Außenbereich, damit es drinnen nicht tropft.

(7) Dienstleistungskultur: Spätis der nächsten Generation.

Einen Eckladen findet man in Städten überall in max 10 Minuten Fußweite. Einer dieser Läden wie 7-Eleven, Familymart kommt auf 1300 bis 2000 Einwohner (je nach Statistik). Man kriegt Lebensmittel, Drogerieartikel, warmes Essen (Teeeier, Teigtaschen, Würstchen), kann sich in der Mikrowelle vor Ort Fertignudeln aufwärmen lassen und direkt da am Tisch essen. Man kann Dinge ausdrucken (vom eigenen Stick), Zugtickets kaufen (und ausdrucken), Geld abheben, Pakete abholen, Pakete in andere Filialen zur Abholung senden. Die meisten sind 24/7 geöffnet. Wie eine Mischung aus Tante Emma Laden und Café, man sieht auch Leute, die sich zu Kaffee oder Bier da treffen und unterhalten oder Menschen, die arbeiten. Sehr soziale Orte.

Teeeier im 7-Eleven
Mikrowelle im Supermarkt zum Aufwärmen
(8) Mandarinen schmecken hervorragend. Papayas auch. Aber bei Obst herrscht ein Erdbeerfetisch. Es gibt sogar Erdbeerstände auf den Nachtmärkten (neben den Obstständen).
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(9) Diagonale Ampeln an Kreuzungen für Fußgänger und Radfahrer.

Je nach Uhrzeit (die steht auf der Straße) halten alle Autos an Kreuzungen, wenn die Fußgänger grün haben. So kann man die Kreuzung direkt schräg überqueren, anstatt zwei Ampeln zu überqueren. Ein Meilenstein der Zivilisation und ein Gewinn an Lebensqualität.

(10) Vieles bleibt oder wird in Plastik verpackt, damit es hält: Türgriffe, Bedienfelder im Aufzug.
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(11) Draußen sieht man viele Menschen im Alter 60plus aktiv.

Morgens Sportgruppen in Parks und Wäldchen, die gemeinsam Gymnastik machen. Nachmittags und abends Tanzgruppen, die draußen zur Musik vom Handy oder von einem Musiker (meist ebenfalls 60plus) tanzen. Mittags sieht man in Tempeln Menschen - auch hier viele über 60 - gemeinsam Essen kochen und Tische aufstellen. Alle essen zusammen, jeder kann für wenig Geld mitessen.

(12) Produkte, die mit Schwarz-Rot-Gold oder „German Technology“ als deutsch beworben werden: Reformhausabteilung im Supermarkt, Audi und Persil.
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(13) Die Müllabfuhr fährt mit Musik.

In jeder Stadt gibt es eine andere Melodie. Die Wagen fahren langsam durch die Straßen, meist einer für den Restmüll und einer für die Wertstoffe. Die Melodie hört man in den Straßen von weitem und wenn die Musik näher kommt, stellen sich die Leute mit ihrem Müllbeuteln auf die Straße (in einer Schlange) und warten und unterhalten sich. Wenn der Wagen hält, wird gemeinsam eingeladen. In den Hochhäusern funktioniert das anders - da gibt es eine zentrale Sammlung und Abholung ohne Musik.

(14) Ich habe selten in so kurzer Zeit so dicht aufeinander so viele freundliche, offene und hilfsbereite Menschen getroffen wie in Taiwan.
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(15) ÖPNV 1: Zur Rushhour ist es voll, es ist eng, aber es ist sehr angenehm im Miteinander und weder laut noch stressig.

Es gibt einige kollektive Regeln, die einfach funktionieren: Auf der Rolltreppe steht man grundsätzlich rechts, wer es eilig hat, kann links vorbei. An den Türen zur U-Bahn stehen die Leute Schlange. Eine links, eine rechts, in der Mitte kann man ohne Gedränge aussteigen. In den öffentlichen Verkehrsmitteln habe ich nicht ein einziges Mal jemanden mit einem Smartphone auf dem Lautsprecher gesehen. Überrascht hat mich, dass ich immer wieder Menschen über 60 mit In-Ear-Kopfhörern gesehen habe.

(16) ÖPNV 2: Busse ohne tote Winkel.

Zur Technik: Ich habe in drei Wochen keine kaputte Rolltreppe gesehen. Die Busse piepsen beim Blinken (und die Fahrer blinken auch immer). Es piepst innen (damit man sich festhalten kann) und außen (als Warnung für die Mopeds). Bussehaben außen mehrere Videokameras, die der Fahrer auf einem Monitor sieht - keine toten Winkel.

(17) ÖPNV 3: An einigen kleinen Bushaltestellen ohne Bank und Häuschen und Schriftband gibt es E-Ink-Fahrpläne als Aushang. Das Display zeigt an, in wie vielen Minuten welcher Bus kommt.
(18) Ich habe noch nie so viele Hinweisschilder auf den nächsten Luftschutzbunker gesehen wie in Taipeh.

In Kaoshiung oder Hualien fliegen tagsüber immer wieder Kampfflugzeuge über die Stadt. In Gesprächen kommt häufiger, aber kurz und nebenbei, als Thema, wie viele Raketen auf die Küste gerichtet sind, wo der nächste Militärflughafen ist.
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(19) Diese Abkürzungen habe ich hier zum ersten Mal gehört: IG für Instagram. A-P-P (also ei-pi-pi geschrieben) für App.
(20) Dessertkultur: Süßes als kleine Mahlzeit zwischendurch.

Kleine süße Gerichte kann man als eigene kleine Mahlzeit essen. Es gibt Imbisse, die nur das anbieten. Vieles ist nicht extrem süß und nicht extrem kalorienreich. Das geht so in diese Richtungen: Mandelmilchpudding mit Sesam oder Matcha, süße Pilzsuppe mit getrockneten Datteln und eingelegten Nüssen, Suppen aus roten Bohnen, Reisbällchen, Pudding mit Lakritzgeschmack aus einer Pflanze und natürlich frisches Obst, in mundgerechte Stücke geschnitten und gewürzt, zum Beispiel mit einem säuerlich-rauchig schmeckenden Pulver aus Pflaumen.

(21) Überhaupt das Essen: So vielfältig, mit so vielen Einflüssen von Nachbarn.

Küchen vom ganzen chinesischen Festland, exzellenter Fisch und sehr gute japanische Küche, thailändisch und vietnamesisch habe ich nicht probiert, soll aber wegen der regen Arbeitsmigration und Nähe ebenso gut sein.
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(22) Für Elektroroller gibt es Akkuwechsel-Stationen am Straßenrand. Leerer rein, voller raus, in einer halben Minute fährt man weiter.
(23) Matratzen sind angenehm hart by default.
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(Bonus-Beobachtung) Maskottchen sind wichtig.

Lesetipps

💡
Wer jetzt neugierig ist und etwas mehr verstehen will: Das Buch von
Stephan Thome: Gebrauchsanweisung für Taiwan ist wirklich lesenswert, Geschichte und Gegenwert im Schnelldurchlauf. Sehr lesenswert ist das Blog mit intaiwan von Klaus Brandenhagen.

Fotos

Ein paar meiner Fotos aus Taiwan hier.

Blog

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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