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Kopiert ein Mensch kreativer als Software?

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen
Kopiert ein Mensch kreativer als Software?

Tübinger Forscher haben hier einen interessanten Quiz ins Netz gestellt: Man sieht 10 Bilderpaare. Von jedem der Paare hat eines ein Mensch gemalt, das andere die Software der Tübinger errechnet. Menschen können bei diesem Quiz nicht besonders gut die Werke der Software von denen der Menschen unterscheiden. Die bislang knapp 44.000 Teilnehmer haben (Stand 22.2.2016) im Schnitt nur 6 von 10 Paaren richtig Mensch und Maschine zugeordnet.

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Ich habe den Quiz mit einem provozierenden Kommentar weiterempfohlen: „Was Software heute alles tut: Bilder malen.“ Daraus entspann sich eine interessante Diskussion darüber, ob Software wirklich malt und nicht doch etwas ganz anderes tut als Menschen, die Bilder machen.

Das Argument gegen die Formulierung „Software malt“ ist auf den ersten Blick einleuchtend: Ein Kopist ist kein Maler. Software ahmt nur nach, wendet die Techniken der analysierten Gemälde nach. Und in der Tat, so funktioniert die Software: Sie analysiert Kunstwerke. Sie nimmt dann ein Foto als Input entgegen und wendet die aus Kunstwerken gelernten Muster an.

Mein Argument ist: Meister nachahmen und deren Techniken anwenden – das beschreibt auch die Vorgehensweise vieler menschlicher Maler ziemlich gut. Oder sollte ich sagen: die Vorgehensweise bilderproduzierender Menschen? Malen kopierende Menschen etwa nicht?

Kopie als künstlerische Praxis

Ob Nachahmung Malerei ist, debattierte man lange, bevor Software Malstile erkannte und kopierte. In diesem Aufsatz über Kopie als künstlerische Praxis und ihre Bedeutung für die Erforschung der flämischen Buchmalerei aus dem 16. Jahrhundert sieht man das an einigen ganz konkreten Beispielen: Die Illustrationen französischer und flämischer Handschriften lassen sich kaum zweifelsfrei namentlich bekannten Künstlern zuordnen. Die Maler haben massig Motive kopiert und über die Verbreitung dieser Kopien kann man rückblickend die Werke einzelnen Werkstätten oder Malern zuordnen.

Höllenbruegel kopiert Papas Werke

Ein anderes Beispiel aus der niederländischen Renaissance: Pieter Bruegel dem Älteren werden nur gut 40 Gemälde eindeutig zugeschrieben. Es gibt viele andere, bei denen die Urheberschaft kaum zu klären ist. Einer seiner Söhne, Pieter Bruegel der Jüngere (aka „Höllenbruegel“), kopierte Werke des Vaters. Oder er ließ kopieren in seiner Werkstatt. Hat der andere Sohn Jan (aka „Samtbruegel“) aber auch gemacht.

Das Fazit dieser Beobachtungen hat schon der Kunsthistoriker Max Jakob Friedländer gezogen, 1946 in „Von Kunst und Kennerschaft“ (zitiert nach): Es gibt keine absolut originale Produktion, bilanziert er. Denn:

“Selbst der große und selbstständige Maler hat nicht nur die Natur, sondern auch Kunstwerke gesehen, Gemälde anderer Meister und seine eigenen. Er fußt auf einer Kunsttradition. In irgendeinem Grad ist jeder Maler Nachahmer und Kopist, so schon, indem er nach eigenen Naturstudien, Zeichnungen, Entwürfen ein Gemälde ausführt.”

Wie würde Software in Rembrandts Werkstatt arbeiten?

Zurück zur Software. Wenn wir schon bei den unzweifelhaft großen Meistern anerkennen, dass Kopieren zu Ihrer Kunst gehört, kann das wohl kaum das einzige Kriterium sein, um das Schaffen einer Software von dem eines Menschen zu unterscheiden.
Die Rolle des künstlichen neuronalen Netzes der Tübinger Forscher kann man vielleicht mit einem Gedankenspiel präziser fassen. Stellen wir uns vor, die Software hätte für Rembrandt gearbeitet. Von den damals nicht vorhandenen Computern abgesehen, ist das gar nicht so abwegig. Rembrandt hatte Mitarbeiter, in seine Malerwerkstatt. Er malte nicht alles in allen ihm zugeschriebenen Gemälden selbst. Bekannt sind zum Beispiel die Hände des Pfarrers Johannes Wtenbogaert: Die hat ein Mitarbeiter gemalt. Der Mitarbeiter hat sie in Rembrandt Stil gemalt. Er hat unter Anleitung des Meisters zu dem Werk beigetragen – einen Künstler würden wir ihn vielleicht nicht nennen. Aber dass er malte, sehe ich als unstrittig an. Wenn ein künstliches neuronales Netz wie das der Tübinger diesen Job erledigen würden, würde sich an der Bewertung dieses Beitrags nichts ändern: Rembrandt ist der Maler, auch wenn die Hände eine Software aus seiner Werkstatt in kollaborative Fortentwicklung gemalt hat. Wenn wir eine Software haben, die wie der Höllenbruegel kopiert und die eigene Könnerschaft dadurch entwickelt, wird eine andere Stufe erreicht sein.

Mein Fazit daraus: Es bringt wenig Erkenntnisgewinn, Tätigkeiten und Werke danach zu kategorisieren, ob Software oder ein Mensch sie ausübt oder geschaffen hat. Man muss sich anschauen, was genau getan wird.

So formuliert klingt das banal. Versuchen wir es einmal anders: Der Chefredakteur des britischen Nachrichtenportals The Register Andrew Orlowski hat in einer lesenswerten Polemik diese These formuliert: „When the professional classes hollow themselves out, […], then they can’t really blame automation. They’ve automated themselves.“ Eines seiner Beispiele:

„Editors look at what hashtags are trending. They instruct that material is generated to feed that demand. The material is published in such a way to lure for Google News or Facebook algorithms. Behind the scenes, robots place the ads that accompany the material. More robots then click the ads … around half of the ads served are never seen. It’s not really a »writer-reader« relationship any more. It’s a robot-robot relationship. At which point the utilitarian logic dictates that it makes sense to remove the middleman – the human.“

Artikelbild: “Brain surgery” (1893), keine bekannten Urheberrechtseinschränkungen

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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